Position
Stadtentwicklung

Können wir noch lebenswerte Stadtquartiere bauen?

von Stefan Forster

Derzeit erleben wir eine Renaissance des städtischen Wohnens. Doch wesentliche Merkmale drohen verloren zu gehen: die Anonymität und Homogenität der Architektur. Ein Debattenbeitrag für das Magazin der Bundestiftung Baukultur.

Nein...

...wenn wir uns das Baugeschehen in Deutschland derzeit anschauen, so kann man mit Fug und Recht behaupten, dass man offensichtlich keine lebenswerten Städte mehr bauen kann.

Derzeit erleben wir eine Renaissance des städtischen Wohnens. Alles drängt in die Innenstadt und „Nachverdichtung“ scheint die einzige Lösung, um diesem Druck standzuhalten. Doch welche Stadt erfreut sich denn dieser hohen Beliebtheit? Es ist die europäische Stadt des 19. Jahrhunderts mit ihrem klaren System von öffentlichem, halböffentlichem und privatem Raum, mit ihren anonymen Fassaden, ihrer Dichte und ihrer Nutzungsmischung. Das Wohnen im Altbau war schon immer angesagt und ist es noch immer.

Die „europäische Stadt“ wird nun bei den Planern und Politikern als Marketingbegriff benutzt, um die neuen Stadterweiterungen auf den Weg zu bringen. Würde es sich wirklich um die europäische Stadt handeln, die man vorgibt zu bauen, hätten wir sicher hier keine Diskussion. Schaut man sich diese neuen Gebilde an, so stellt man sehr schnell fest, dass sie nur im Design diesen Eindruck vermitteln. Es handelt sich jedoch bei diesen Gebilden um etwas völlig anderes.

In der europäischen Stadt sind die Blöcke in einzelne Parzellen unterteilt, dadurch ist eine gewisse Vielfalt und Stabilität sichergestellt. Heute wird ein Block von einem Einzelinvestor mit seinem Architekten geplant, das heißt, das wesentliche Merkmal der europäischen Stadt, die Feinkörnigkeit, ist nicht sichergestellt.

Da sich dieser Investor heute in Konkurrenz zu seinen Nachbarn sieht, hält er seinen Architekten dazu an, eine möglichst auffällige Architektur zu kreieren. So haben wir dann am Ende eine Aneinanderreihung von Gag-Architekturen, Eitelkeiten und Egotrips, aber keine Stadt. Ein wesentliches Merkmal von Stadt fehlt: die Anonymität und Homogenität der Architektur.

Am Potsdamer Platz in Berlin ist dieser Negativeffekt sehr schön auszumachen. Weckt der Stadtgrundriss noch die Hoffnung, hier eine normale, einfache Stadterweiterung vor sich zu haben, zeigt der Aufriss das ganze Ausmaß des Schreckens: Die damals weltweit angesagtesten Architekten überboten sich mit Gag-Architektur. Damit ist ein Architektenzoo, aber keine Stadt entstanden. Das jüngste Beispiel für diese Fehlentwicklung ist wohl die Hafencity in Hamburg.

Sie hat nichts mit der Qualität Hamburgs zu tun. Der vielbeschworene Einsatz von Klinkern, um den wir Süddeutschen die Hamburger immer beneiden, wird zur reinen Tapete. Ein weiteres Merkmal der europäischen Stadt ist die Nutzungsmischung. Schauen wir nach Stuttgart: Hier wird offen propagiert, das Leitbild des neuen Europaviertels sei die europäische Stadt, doch leider gibt es nur einen zehnprozentigen Wohnanteil. Wie soll hier jemals städtisches Leben entstehen? Sieht man heute die ersten entstandenen Egotrips, kommt einem das kalte Grausen.

Auf der anderen Seite gibt es dann die Stadterweiterungen, welche sich offensichtlich modern geben, wie in München das Gebiet „Hirschgarten“ – hier arbeitet man offensiv gegen die Stadt und baut eigentlich eine überdimensionale Siedlung ohne eindeutige Zuordnung von öffentlichem und privatem Raum. So werden öffentliche Radwege zwingend durch das Blockinnere gelegt; der Sinn ist mir noch nie aufgegangen. Ansonsten entwickelt sich dieses Gebiet zu einer riesigen WDVS-Wüste ohne den geringsten Anspruch an Gestaltung, natürlich alles eine Folge der Wohnungsknappheit: In München verkauft sich derzeit eigentlich alles.

Der Bauträger braucht sich keinerlei Mühe mehr zu geben. Diese „modernen Stadterweiterungen“ werden von einer Handvoll Stadtplanungsbüros kreiert, welche sich immer äußerst innovativ geben - in Wirklichkeit sind sie durch die Beliebigkeit der Planungen nur äußerst investorenfreundlich, frei nach dem Motto: Wie hätten Sie‘s denn gern? Für jemanden, der München kennt und liebt, ist es unfassbar, wie ein solches Viertel entstehen kann.

Wie konnte es zu diesen Fehlentwicklungen kommen? Für mich liegt der Grund in dem Verschwinden des Regulativs, der öffentlichen Hand. Sie könnte zum Beispiel eine bestimmte Anzahl ihrer Grundstücke für geförderten Wohnungsbau reservieren, das heißt, nicht den maximalen Kaufpreis im Auge haben, um damit eine gesündere Mischung der Zusammensetzung der Bewohnerschaft sicherzustellen, sie könnte den Parzellenzuschnitt ändern, sie könnte auf Nutzungsmischung bestehen, sie könnte die Eventisierung des öffentlichen Raumes untersagen, sie könnte Gestaltungsvorgaben machen, um Gag-Architektur und Egotrips zu unterbinden.

Sie könnte auch Freiräume und Flexibilität festlegen, indem sie nicht immer alles in B-Pläne meißelt. All das könnte und müsste eine Stadt leisten, das erwarte ich von ihr. Das dafür notwendige Bewusstsein von Stadt ist leider abhandengekommen.

Erschienen auf BKULT, dem Online-Debattenforum der Bundesstiftung Baukultur, 10.10.2012

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