Gastbeitrag
Standpunkt Architekt

Lasst uns über Qualität streiten!

von Stefan Forster

Quantität statt Qualität, Masse statt Klasse: So sieht die Realität des Wohnungsbaus heute aus. Dabei geht der Blick für architektonische Details ebenso verloren wie die Verantwortung für die Bewohner.

In Frankfurt a. M. tobt seit Monaten ein für Außenstehende recht absurder Streit zwischen dem sozialdemokratischen Oberbürgermeister Peter Feldmann und dem grünen Bürgermeister Olaf Cunitz, der gleichzeitig Planungsdezernent ist. Objekt des von der Lokalpresse befeuerten Händels: der Wohnungsbau. Oder besser: Wer hat welche Initiative gegeben, wie viele Wohnungen wann zu bauen? Der Konflikt scheint aktuell zu sein, Frankfurt ist in diesem Fall nur pars pro toto.

Denn die Horrormeldungen über zu wenig Wohnraum betreffen alle Ballungsgebiete der Republik und haben nun auch das Bundesbauministerium erreicht. Ressortchef Peter Ramsauer holte eine olle Kamelle aus dem verstaubten Schrank und will nun die Gott sei Dank abgeschaffte Eigenheimzulage reaktivieren. Die, so will er uns glauben machen, soll der Not dann ganz schnell Abhilfe schaffen. In diesen Aktionismus steigt schließlich auch eine maklerorientierte lmmobilienindustrie ein, entwickelt marktgängige Wohnprodukte und stillt temporäre Bedarfe.

Es geht offensichtlich um Quantität statt Qualität. Um Masse statt Klasse. Zahlen werden produziert, um die nächsten Wahlen zu gewinnen oder Bilanzen aufzuhübschen. Der zur Krise hochgejazzte Wohnungsmangel war abzusehen. Dass die „Renaissance des Städtischen“; von der man seit einem runden Jahrzehnt spricht, nicht ohne Folgen für den Wohnungsmarkt blieb, konnte man sich ausrechnen.

Und die Profis, beispielsweise kommunale Wohnungsbaugesellschaften, haben längst schon gehandelt – auch wenn sie von der Politik sträflich allein gelassen werden.

Qualitätsvoller Wohnungsbau geht anders. Qualitätsvoller Wohnungsbau ist wahre Kärrnerarbeit. Qualitätsvoller Wohnungsbau ist Empathie, Engagement und Erfahrung. 

Doch nun überschwemmen Akteure den Markt, die Inkompetenz im Wohnungsbau mit kurzfristigem Renditeinteresse bündeln, aber gleichwohl das Heft des Handelns übernehmen wollen. Und die gesellschaftliche Verantwortung in die Fabelwelt idealistischer Spinner verweisen und jeden noch so weit hergeholten Vorwand dazu benutzen, Preise und Mieten hochzutreiben. Und die gleichzeitig die Architekten bei Gefahr der Auftragskündigung zu noch billigerem Bauen zwingen.

Qualitätsvoller Wohnungsbau geht anders. Qualitätsvoller Wohnungsbau ist wahre Kärrnerarbeit. Qualitätsvoller Wohnungsbau ist Empathie, Engagement und Erfahrung. Er verlangt den Blick für das elegante und doch kostengünstige Detail. Er verlangt den Blick für die Bedürfnisse der Bewohner- und die der Bauherrn. Und er verlangt den Blick für sich anbahnende wohnungspolitische Probleme.

Was zum Beispiel wollen wir mit den meist nicht oder viel zu kostspielig sanierungsfähigen Siedlungen des Wiederaufbaus machen? Pinselsanieren? Einen halben Meter dick Dämmwolle auf die Fassaden kleben? Balkone auf Alugestellen davor schrauben? Abreißen und neu bauen? Oder mit neuen Strukturen ergänzen, damit aus den Siedlungen vielleicht Stadt wird?

Geschichte ist derzeit en vogue. Aber es bleibt beim Zitieren historischer Bilder und Formen. Aus der Geschichte des Wohnungsbaus im vergangenen Jahrhundert und dessen vielen Fehlern möchte keiner lernen. Die krude Mischung aus Postmoderne und Moderne mit Parkettboden, französischen Fenstern, weiß bepinselt, löst, obwohl gerade angesagt, keine Probleme.

Das Würfelhusten im derzeit modischen Collagenstädtebau verspricht zwar Freiheit für Investoren, führt aber zu falscher Durchwegung und entwertet die Straße als öffentlicher Raum. Lasst uns städtisch dicht bauen! Lasst uns profilierte Fassaden, massive Sockel und benutzbare Freiräume bauen! Lasst uns anonyme, aber hochwertige Wohnhäuser bauen! Nicht das Erscheinen in angesagten Zeitschriften ist wichtig, sondern die Verantwortung gegenüber unseren Kunden. Lasst uns über Qualität streiten – und nicht über Zahlen!

Erschienen in DBZ – Deutsche Bauzeitschrift, 5/2013