Gastbeitrag
Stadtentwicklung

Mehr Lebensqualität in der Stadt durch Nachverdichtung

von Stefan Forster

In einem Gastbeitrag für das Magazin „Privates Eigentum“ tritt Stefan Forster für einen Paradigmenwechsel in der Verkehrs- und Siedlungspolitik ein.

Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung, der Architekt würde sich lediglich um die Form, die Kunst und seine eigene Selbstverwirklichung kümmern, bin ich der Meinung, dass der Architekt von heute als politisch denkender und handelnder Mensch agieren muss.

Der Architekt hat die Aufgabe, sich mit den drängenden Fragen dieses Jahrtausends, der Energieverknappung, der Umweltverschmutzung und dem Bedürfnis der Menschen nach mehr Lebensqualität, auseinanderzusetzen. Die drei Themen hängen unmittelbar miteinander zusammen. Angesichts der absehbaren Endlichkeit der Primärenergieträger liegt im Bereich des Verkehrs die Lösung des Problems sicher nicht im Elektroauto. Der Individualverkehr muss zugunsten der Lebensqualität drastisch reduziert werden.

Unsere Städte sind nach dem Kriege der Maxime des Verkehrs folgend konzipiert worden. Der Lebensraum der Menschen in der Stadt wurde zugunsten des Verkehrs drastisch reduziert und verschlechtert, er wurde dem Verkehr geopfert. überdimensionale Autoschneisen wurden durch die Städte geschlagen und ganze Wohnviertel mit beidseitig der Straße parkenden Autos fast unbewohnbar gemacht. Wollen wir diesen verlorenen Raum den Menschen zurückgeben, müssen wir ein neues Bild der Stadt entwickeln. Es ist das Bild der verkehrsfreien, durchgrünten Stadt.

Der Straßenraum wird wieder zum Lebensraum für den Menschen; In der Konsequenz bedeutet dies, dass auch der ruhende Verkehr aus unseren Wohnstraßen verbannt werden muss. Voraussetzung ist jedoch, dass der Mensch nicht mehr auf das Auto angewiesen ist, um zu seiner Arbeit zu kommen. Er sollte in der Nähe seiner Wohnung arbeiten. Eine verkehrsarme Stadt, mit einem Mehr an Lebensraum, wäre dann auch für viele Menschen, die heute täglich einpendeln, wieder attraktiv.

Der Lebensraum der Menschen in der Stadt wurde zugunsten des Verkehrs drastisch reduziert und verschlechtert, er wurde dem Verkehr geopfert.

Pendeln – ob nun mit der Bahn oder dem Auto – ist verlorene Lebenszeit und verlorene Lebensqualität. Pendeln hat zum einen rein ökonomische Gründe, das Wohnen in der Stadt ist einfach zu teuer, zum anderen auch ein qualitatives Problem, die Stadt bietet zu wenig guten Lebensraum und ist, was zumindest Frankfurt betrifft, an vielen Stellen heruntergekommen und vernachlässigt. Wie eingangs beschrieben, wird die alltägliche Lebensqualität immer mehr zu einem generellen Bedürfnis der Bevölkerung.

Das Mehr an nutzbarem öffentlichem Lebensraum mit höherer Aufenthaltsqualität könnte dann auch mehr Menschen zur Verfügung gestellt werden. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die Stadt in ihrem Inneren wachsen muss, während die Vorstädte längerfristig aufgegeben werden müssen. Die Aufgabe ist zwingend, weil wir uns den Erhalt ihrer Infrastruktur nicht mehr leisten können. Der Aufwand, die Menschen zu ihren entfernten Arbeitsorten zu bringen, wird ebenfalls zu teuer. Gerade heute, wenn ich diesen Text bei eingestelltem Luftverkehr verfasse, ist der Gedanke an leere, teilweise renaturierte Landstraßen und Autobahnen sehr reizvoll.

Der Gedanke an die Entschleunigung des Lebens war schon immer sehr verlockend. Wir sollten vielleicht damit beginnen, zugunsten einer höheren Lebensqualität darüber nachzudenken. Das ausgeführte Szenario mag für viele vielleicht sehr sozialromantisch klingen, in der Konsequenz bleibt uns angesichts schrumpfender Bevölkerungszahlen keine andere Wahl.

Das aufgezeigte Stadtmodell bedeutet für unseren heutigen Stadtkörper eine konsequente Nachverdichtung zugunsten einer hohen Kompaktheit. Nachverdichtung bedeutet, dass die offenen Stadtstrukturen aus der Nachkriegszeit, entstanden im Geiste der modernen, offenen, durchgrünten Stadt, im Sinne einer konsequenten Blockstruktur transformiert werden müssen.

Das aufgezeigte Stadtmodell bedeutet für unseren heutigen Stadtkörper eine konsequente Nachverdichtung zugunsten einer hohen Kompaktheit. 

Nachverdichtung bedeutet auch, dass Gebäude, welche in ihrem Erscheinungsbild und Höhe eher den Charakter und den Charme von Siedlungshäusern aufweisen, radikal umgebaut und aufgestockt werden müssen. Durch solche Maßnahmen ließen sich z.B. im Zentrum von Frankfurt, wo derzeit nur etwas mehr als 3.000 Menschen leben, sicher doppelt so viele Bewohner ansiedeln. Die Nachverdichtungen haben den immensen Vorteil, dass die Grundstückskosten nicht weiter ins Gewicht fallen.

Vor dem Hintergrund der hohen Verkaufs- und Mietpreise im innerstädtischen Bereich, welche fast ausschließlich den hohen Grundstückserwerbskosten geschuldet sind, ist das für den Erhalt des Mittelstandes in der Innenstadt von grundlegender Bedeutung. Die einfachste Form der Nachverdichtung ist die Baulückenschließung. Beim Gang durch die Stadt stoßen wir ständig auf unbebaute Restgrundstücke. Teilweise erinnern sie uns immer noch an die Kriegszerstörung.

Begibt man sich auf die Suche nach den Gründen für die Nichtbebauung, stößt man oft auf bürokratische Hürden wie nicht nachzuweisende Stellplätze, Abstandsflächenschwierigkeiten, veraltete B-Planfestlegungen usw. oder schwierige Randbedingungen, wie z.B. die Lage an einer lauten Durchgangsstraße. Ökonomische Gründe spielen oftmals ebenfalls eine Rolle, da sich das Bauen mangels Masse nicht im herkömmlichen Sinne lohnt. Oftmals hat der Besitzer selbst noch nicht erkannt, über welches Potenzial sein Restgrundstück verfügt. Für die Bebauung dieser Grundstücke bedarf es des Zusammenwirkens von Bauherrn, kreativen Planern und Verwaltung.

Nur das positive Zusammenspiel dieser drei Kräfte führt zu befriedigenden Ergebnissen. Die Verwaltung muss zudem den politischen Willen aufbringen, diese Restgrundstücke optimistisch anzugehen, und durch Befreiungen bürokratische Hindernisse aus dem Weg räumen. Viele der bisher realisierten Beispiele zeigen, dass sich der Aufwand und der Mut, die anfangs scheinbar unlösbaren Aufgaben anzugehen, gelohnt hat. Und ganz am Rande: Bei der absehbar autofreien, verkehrslärmfreien Stadt (Elektroautos sind geräuschlos), kann sich so manches ehemals scheinbar unbebaubare Trümmergrundstück zu einer Edellage entwickeln. Baulückenschließung ist auch der Weg zu einer neuen, lebenswerten Stadt, daran sollten wir alle arbeiten.

Erschienen in der Zeitschrift „Privates Eigentum“, 5/2010