Gastbeitrag
Wohnhaus für die Bürostadt

Nur schlechte Architektur ist statisch

von Stefan Forster

Gebäude sind nur scheinbar statisch. Architektur ist ihrem Wesen nach Gebrauchskunst, der Gebrauch formt demzufolge das Kunstwerk um – bereits beim Einzug des ersten Nutzers. Ein Gastbeitrag für das Fachmagazin „Die Wohnungswirtschaft“.

Pilotprojekt in Frankfurt-Niederrad: Nach jahrelangem Leerstand verwandelte sich ein Bürohochhaus in ein Apartmenthaus mit einer Durchschnittsmiete von 12,50 Euro pro Quadratmeter.

Die Bedürfnisse des Nutzers sind einem ständigen Wandel unterworfenen, gute Architektur muss deshalb anpassungs- und ergänzungsfähig sein. Sie muss einerseits genügend Reserven zur Verfügung stellen, sie muss andererseits reversibel sein.

Reserven – in der Raumhöhe, den Flächen, in der statischen Belastbarkeit – garantieren eine flexible Nutzung. Reversibilität – etwa leichte Reparierbarkeit und Austauschbarkeit der Ausstattung und der Gebäudetechnik – garantiert eine nutzergerechte und dabei effiziente Ausnutzung von Stoffkreisläufen.

Nur schlechte Architektur ist statisch. Wenn Gebäude keine Reserven und Reversibilität bieten, erhöht sich der Aufwand und somit der Preis, um auf wechselnde Anforderungen von Nutzern und auf die Schwankungen des Immobilienmarktes zu reagieren.

Früher Büroetage – heute lichte Wohnräume und ein geräumiger Eingangsbereich.

Leerstand in bautechnisch veralteten Gebäuden

Große Leerstände von Wohnungen gibt es nicht nur im Osten Deutschlands. Auch Regionen im Westen – etwa das nördliche Ruhrgebiet, die Schwäbische Alb oder das östliche Oberfranken – leiden unter Abwanderung früher florierender Industrien. Mit den bekannten Folgen: Die Menschen – gerade die aktiven, engagierten und gut ausgebildeten Personen – ziehen in wirtschaftlich erfolgreiche Städte und Gebiete, zurück bleiben Arme, Alte und leere Wohnungen.

Deshalb folgte dem Stadtumbau Ost im Jahre 2006 das von der Bundesregierung initiierte Programm „Stadtumbau West", das im Unterschied zu seinem östlichen Bruder ungleich individueller gestaltet ist, weil die Problemlagen der betroffenen Städte im Westen sehr viel spezifischer sind.

Allerdings haben auch Boom-Regionen wie etwa das Rhein-Main-Gebiet ihre eigenen Schwierigkeiten. In Frankfurt am Main zum Beispiel stehen mehr als zwei Millionen Quadratmeter Büroraum leer. Das sind vor allem Gebäude aus den 1960er und 1970er Jahren, die bautechnisch veraltet sind und hohe Betriebskosten verursachen.

Ein besonders problematisches Stadtviertel in dieser Hinsicht ist die Bürostadt Niederrad: Anfang der 1960er Jahre ohne Masterplan als „Geschäftsstadt vor dem Stadtwald" entwickelt, steht knapp 50 Jahre später ein Drittel der vorhandenen einer Million Büroquadratmeter leer – mit steigender Tendenz. Die Mieten sind auf deutlich unter zehn Euro pro Quadratmeter gefallen, kaum gedämmte und sanierungsbedürftige Gebäude finden seit Jahren keine Mieter mehr.

Weil Frankfurt andererseits unter Wohnungsknappheit leidet, forciert die Stadtplanung eine Teilkonversion der Geschäftsstadt in ein gemischt genutztes Gebiet. Unter dem Titel „Transformation eines monofunktionalen Bürogebietes" sieht der Rahmenplan eine Stärkung der öffentlichen Grünräume, die Umnutzung und den Abriss von leerstehenden Büroobjekten sowie die Nachverdichtung mit Wohnblöcken vor.

In dem neuen Quartier sollen rund 3.000 Wohnungen für etwa 6.000 Bewohner entstehen. Weil es derzeit an Akteuren fehlt, die mit einem zahlenmäßig umfangreichen Projekt einen mutigen Anfang setzen, hat die nachdrückliche Metamorphose eines kleinen Büroturms die Funktion eines Pioniers übernommen: der Umbau eines Ende der 1960er errichteten Hochhauses zu einem Apartmenthaus, der allein seiner neuen Ästhetik wegen ein maßstabgebendes Ausrufezeichen setzt.

Detailansicht der neuen Fassade.

Defizite bei Schall- und Brandschutz

Die Planung für Umbau und Umnutzung stammt aus unserem Büro. Retrospektiv gesehen, überlagerten sich beim Umbau des vorher vierzehngeschossigen Gebäudes und seiner Aufstockung um drei Etagen zwei Prozesse: die Umwidmung von Büro- in Wohnraum und die Erneuerung eines in die Jahre gekommenen Hochhauses. Die Defizite lagen vor allem im Schall- und im konstruktiven Brandschutz. So mussten unter anderem tragende Teile ertüchtigt werden, auch der Rettungsweg wurde völlig neu konzipiert.

Größere und auffallendere Änderungen bedingte die Umwidmung in nun insgesamt 98 Wohnungen, die zwischen 48 und 160 Quadratmeter umfassen. Allerdings trug eine Reihe von positiven Faktoren zum Gelingen bei: der annähernd quadratische Grundriss des Gebäudes, die für die Bauzeit eher ungewöhnlich gute Dokumentierung von Statik, Haustechnik et cetera sowie die Kompetenz des Bauherrn, der etwa 15 Millionen Euro investiert hat.

Wandel der Wahrnehmung

Die Öffentlichkeit hat diesen Umbau als Symbol für den ganzen Umbau der Bürostadt Niederrad wahrgenommen. Vielleicht kann aber noch etwas anderes gelingen: Bei aller Wertschätzung historischer Gebäude sind sowohl die Plattenbauten in Ostdeutschland als auch die Architektur des ,,Brutalismus“ im Westen bei der Bevölkerung wenig angesehen.

In Frankfurt wurde vor kurzem das 1974 fertig gestellte Technische Rathaus abgerissen, das zwei Jahre vorher eröffnete Historische Museum ereilte dasselbe Schicksal. Durch sensible Eingriffe können Gebäude dieser Ära möglicherweise eine Rehabilitierung erfahren. Wobei die ästhetische Korrektur mit einer neu gewonnenen Nutzungsqualität einhergeht. Es gilt, Stadt weiter zu bauen, sie allerdings auch an die ökonomischen wie ökologischen Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft anzupassen. Das schließt die Geschichte und den Respekt vor dem baulichen Erbe – und zwar jeder Generation – ein. Und auch den Umbau.

Erschienen in DW – Die Wohnungswirtschaft, 8/2011