Position
Stadtumbau statt Umbau

Ein Wunsch von Stefan Forster zum Thema Stadtumbau

von Stefan Forster

In einem Gastbeitrag für die Zeitschrift „Berührungspunkte“ plädiert Stefan Forster für eine bewusste Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt – und für den Erhalt historischer Bausubstanz.

Seit nun bald 20 Jahren beschäftigt sich unser Land mit dem Thema Stadtumbau. Durch die Wiedervereinigung ist es zur Einführung dieses Begriffes gekommen. Der 1. Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden hatte uns die historischen Innenstädte, fast ohne Menschen, auf dem Stand von etwa 1936 hinterlassen.

Die Bevölkerung wohnte in der sozialistischen Errungenschaft, der Plattenbaustadt, vor der eigentlichen historischen Innenstadt. Der bauliche Zustand dieser Behausungen war, der sozialistischen Mangelwirtschaft geschuldet, miserabel. Verständlich deshalb der Wunsch, bzw. die massive Forderung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft, die Wohnverhältnisse möglichst rasch denen der Westbürger zumindest anzugleichen.

So wurden in einer immensen Kraftanstrengung in der ersten Stufe fast 80 Prozent des Plattenbaubestandes pinselsaniert. Die Art der Sanierung könnte man auch, etwas bösartig, als „denkmalgerecht" bezeichnen. Da es sich bei den Plattenbauten um die Errungenschaften der Planwirtschaft handelte, war anfangs jegliche Kritik an dieser Art der Sanierung nicht opportun. Das böse Wort des Rückbaus war verboten. Die Mahnungen über den absehbaren demografischen Wandel wurden, obwohl bereits Anfang der 90er Jahre aussagekräftige Statistiken vorlagen, in den Wind geschlagen.

Ende der 90er Jahre kam dann das böse Erwachen: Die historischen Innenstädte waren mit viel Aufwand denkmalgerecht saniert, ebenso die Plattenbauten vor der Stadt. Beide „Städte" waren jedoch plötzlich fast ohne Menschen. Man hatte sich den Luxus erlaubt, zwei Städte gleichzeitig zu sanieren ohne den demografischen Wandel, verbunden mit dem Wegzug der Menschen der Arbeit nach, zu beachten – eine gigantische Fehlplanung.

Nun begann wieder das Wehklagen, so wurde der Begriff „Umbau Ost“ geboren. Der Abriss von Bausubstanz, auch sanierter Bausubstanz, wurde gefördert, um den Leerstand zu reduzieren und den Wohnungsmarkt wieder in den Griff zu bekommen. Diese Förderpolitik treibt nun wiederum munter wilde Blüten. Statt die Plattenbauten abzureißen wird vielerorts wertvolle historische Bausubstanz (weil noch unsaniert) beseitigt (weil gefördert).

Ich wünsche mir, dass wir uns wieder mit dem Organismus der europäischen Stadt, unseren historischen Innenstädten, beschäftigen.

Ich wünsche mir, dass wir uns in naher Zukunft nicht mehr mit dem Thema Stadtumbau befassen müssen. Leider ist der Zeitpunkt hierfür nicht absehbar. Der Begriff Stadtumbau kommt jetzt auch im Westen des Landes zur Anwendung. Hier sind, wie im Osten der Republik, ganze Landstriche vom demografischen Wandel betroffen. Es gibt wegen der geburtenschwachen Jahrgänge weniger Menschen und diese ziehen der Arbeit nach in die Ballungsräume. Auch hier ist vielerorts die Industrie weggebrochen. Es gibt keinen Grund länger zu verweilen. Das Ansteigen der Energiepreise wird den Wegzug noch beschleunigen, da das Pendeln in die Großstadt perspektivisch nicht mehr finanzierbar sein wird.

Nun wollen wir hier nicht alles so düster malen – in der Schrumpfung liegt eine große Chance – und diese Entwicklung wünsche ich mir. Ich wünsche mir, dass wir wieder anfangen über unsere Lebensqualität nachzudenken. Lebensqualität ist auch und vor allem abhängig von der Qualität der gebauten Umwelt. Diese Umwelt hat einen entscheidenden Einfluss auf unsere Stimmungs- und Gemütslage. Der Schrumpfungsprozess gibt uns die Chance, bewusster mit dem gebauten Bestand umzugehen, freier entscheiden zu können, welche Qualität ein Gebäude für das Gesamtbild hat oder nicht.

Deswegen wünsche ich mir, dass man endlich den Plattenbau als einen Fehler begreift, den Fehler eines gescheiterten Systems, wo alle gleich sein sollten, nur einige gleicher waren, in Wandlitz lebten und sich zahmes Wild vor die Flinte schicken ließen. Ich wünsche mir, dass wir im Westen die sogenannten „Trabantenstädte“ ebenfalls als Fehler begreifen und uns ebenso von diesen trennen.

Ich wünsche mir, dass wir uns wieder mit dem Organismus der europäischen Stadt, unseren historischen Innenstädten, beschäftigen, dass wir diese als das Herz unserer Gesellschaft begreifen und an dieser Stadt behutsam weiterbauen. Wir haben die Aufgabe an diesem Organismus Teile, die sich nicht bewährt haben, auszutauschen gegen Teile die sich qualitativ an unserer deutschen Bautradition orientieren, ohne sie kopieren oder rekonstruieren zu wollen.

Ich wünsche mir, dass wir diese Stadt ökologisch erneuern, um durch den Einsatz von regenerativen Energieträgern unabhängig von den Energiepreisen auf dem Weltmarkt zu werden. Nur so können wir garantieren, dass es sich in Zukunft alle leisten können in diesen Städten zu leben. Ich wünsche mir diesen Stadtumbau so, dass wir in unseren Städten keine Autos mehr benötigen, weil man überall mit dem Fahrrad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hingelangen kann. Ich wünsche mir, dass wir uns auf das Potenzial unserer Bauhistorie besinnen und versuchen endlich daran anzuknüpfen. Wenn nur ein Bruchteil dieser Wünsche in Erfüllung ginge, würden wir in Zukunft in einer schöneren und besseren Welt leben.

Erschienen in Berührungspunkte, 11/2008