Von 2D zu BIM – Stefan Forster und Florian Kraft über die Digitalisierung der Architektur
Digitalisierung ist eines der bedeutendsten Themen unserer Zeit, nicht nur im Baubereich. Ein Gespräch mit Stefan Forster und Florian Kraft über den langen Weg zur voll digitalisierten Planung.
Digitalisierung ist eines der bedeutendsten Themen unserer Zeit, nicht nur im Baubereich. Ihr plant längst gemeinsam mit Fachplanern und Bauherren kollaborativ und BIM-basiert. Wie hat das angefangen?
Stefan Forster Der erste große Schritt hin zu einer voll digitalisierten Planung war die Umstellung von 2D auf 3D. Schon 2006 haben wir unser erstes Projekt umfassend in 3D geplant: die Wohnanlage in der Mörfelder Landstraße in Frankfurt. Das war Pionierarbeit, wir waren damals eines der ersten Büros in Deutschland. Für uns war ausschlaggebend, dass wir den Planungsprozess generell konsistenter und effizienter gestalten wollten. Heute kann sich kaum noch jemand vorstellen, wie es vorher war. Bei einer Änderung im Grundriss mussten in der Regel sämtliche anderen Pläne – Schnitte, Ansichten, weitere Grundrisse – manuell angepasst und korrigiert werden. Ein fehleranfälliger Prozess.
Florian Kraft Die reine 3D-Planung hat sich heute längst durchgesetzt. Man vergisst allerdings schnell, auf welchem Stand die CAD-Programme noch vor 15 Jahren waren. Die Software war damals noch recht spröde, aber schon zum damaligen Zeitpunkt haben wir erkannt, dass sich die Arbeitsweise durch 3D verändern wird. Man muss sehr viel strukturierter vorgehen und benötigt ein präzises Konzept für die Modellierung des Gebäudes. Dies erfordert eine klare Zielsetzung und sichere Kenntnisse im Umgang mit den eingesetzten Werkzeugen. Durch 3D ist es uns gelungen, auseinanderfallende Planungsstände zu vermeiden – im Ergebnis ist die Planung deutlich weniger fehleranfällig geworden.
Auch 3D hat sich seither stark weiterentwickelt. Heute sprechen wir über digitale und kollaborative Gebäudemodellierung, basierend auf Informationen.
FK Das stimmt. Die allerersten 3D-Planungen beinhalteten noch keine Informationen zu den Bauteilgruppen im Modell. Der Schritt zum Building Information Modeling (BIM) folgte allerdings schon recht bald. Bereits 2009 haben wir – bei der Transformation eines leerstehenden Bürohochhauses – mit Tür- und Fensterlisten gearbeitet, die alle Informationen bis hin zu Schallschutzwerten und Beschlägen direkt aus unserem Modell bezogen. Zusammen mit den Anschlussdetails standen der Fassadenfirma damit sofort alle notwendigen Informationen zur Verfügung, die Fenster konnten nahezu unverzüglich in Produktion gehen. Der Fokus beim BIM liegt dabei aus meiner Sicht insbesondere auf dem „I“, der Information.
SF BIM gilt heute als das zentrale Element der Digitalisierung im Bauwesen. Hier entsteht der relevante Grundstock an Daten für den gesamten Lebenszyklus des Projekts. Da wir das Gebäude im Maßstab 1:1 virtuell vorbauen, werden auch Fehler frühzeitig im Modell erkannt – und nicht erst auf der Baustelle.
„BIM gilt heute als das zentrale Element der Digitalisierung im Bauwesen.“
Ihr habt die veränderte Arbeitsweise angesprochen und deren Bedeutung für den Erfolg BIM-basierter Planungen. Warum ist das so entscheidend?
FK BIM wird häufig auf das Ergebnis reduziert, das eigentliche Gebäude-Datenmodell. Dabei wird übersehen, dass sich diese Methode auf eine Reihe von Prozessen stützt und gewissenhafter Vorbereitung bedarf. Dem Projektmanagement kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Um interdisziplinär an demselben Modell arbeiten zu können, müssen die Bedingungen der Zusammenarbeit im Vorfeld genau definiert werden. Das beinhaltet die Definition aller Schnittstellen und Prozesse sowie der einzelnen Abgabeschritte mit den erforderlichen Informations- und Modellierungstiefen bis hin zu den inhaltlichen Anforderungen. So wissen alle Beteiligten, was sie selbst und was andere zu einem bestimmten Zeitpunkt leisten müssen. Es geht um weit mehr als nur das Datenmodell: BIM sollte vielmehr als Methode zum kollaborativen Arbeiten verstanden werden.
Wie funktioniert diese interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Praxis?
FK Auf der technischen Ebene werden ca. alle zwei Wochen die Teilmodelle der Fachdisziplinen zusammengeführt und regelbasiert geprüft. Die Prüfergebnisse und Arbeitsaufgaben, sogenannte Issues, werden dann über eine Kollaborationsplattform an die Projektbeteiligten zur Abstimmung und Lösung verteilt. Die Kommunikation der Planer untereinander erfolgt dann direkt und problembezogen über diese Plattform. Zusammen mit der Kollaborationsplattform wird das Modell somit zu einem effektiven Kommunikationsmittel, das Aufgaben, Bearbeitungsstatus und Lösungen für alle dokumentiert. Gleichzeitig wird unser eigentliches Arbeiten durch dieses Vorgehen immer flexibler, da uns dieses iterative und zyklische Arbeiten fast zwangsläufig näher an das agile Projektmanagement bringt, das sich durch seine regelmäßigen Sprints, Reviews, Zwischenziele etc. definiert. Die Erfahrung zeigt uns, dass sich dieses Vorgehen sehr gut für die Steuerung insbesondere komplexer Planungsaufgaben eignet.
SF Wir haben mittlerweile mehrere Projekte in Arbeitsgemeinschaften mit anderen Architekturbüros realisiert. Hierbei haben wir die Erfahrung gemacht, dass kollaboratives, BIM-basiertes Arbeiten selbst über weite Entfernungen problemlos funktioniert. Neben dem physischen Standort in Berlin oder Frankfurt erhält jedes Büro sozusagen noch einen virtuellen Standort in der gemeinsamen Arbeitsumgebung der Cloud. Die büroübergreifenden Projektteams arbeiten in flachen Hierarchien zusammen und organisieren sich bis zu einem gewissen Grad selbst. Dadurch hat sich auch die Rolle des Projektleiters verändert – vom Vorgesetzten hin zum Moderator und Coach.
Klimaneutrales Bauen, Kreislaufwirtschaft, Wohnungsmangel – Architektur und Wohnungswirtschaft stehen vor großen Herausforderungen. Inwiefern kann eine zeitgemäße digitale Planung auch einen Beitrag zum nachhaltigen Bauen leisten?
SFNur durch voll digitalisierte Planung sind wir in der Lage, einen effektiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Wir haben dadurch die Möglichkeit – ähnlich wie bei den Kosten –, die Konstruktion und damit die eingesetzten Baustoffe schon im Planungsprozess fortlaufend auf ihre Klimaeffekte hin zu überprüfen. Diese Informationen können wir in Echtzeit aus dem Modell abrufen. Bereits eine grobe Modellierung der Bauteile reicht aus, um Masse und Kosten zu ermitteln.
FKDieses sogenannte Life Cycle Assessment (LCA) sollte so früh wie möglich im Projekt begonnen werden. Wir wollen ja nicht nur passiv bilanzieren, sondern den Entwurfsprozess aktiv steuern. Nur so können wir ein Gebäude erreichen, das sowohl die gesetzten Klima- und Kostenziele einhält als auch die gewünschten architektonischen Qualitäten mitbringt. Je komplexer das Bauvorhaben, desto wichtiger wird das Thema BIM. Denn statt beispielsweise die eingesetzten Baustoffe manuell zu quantifizieren und daraus eine CO2-Bilanz abzuleiten – ein Prozess, der bei jeder Änderung der Planung neu durchgeführt werden müsste –, arbeitet die Analyse über das BIM-Modell quasi mit Filtern. Wenn diese richtig eingesetzt werden, lässt sich die CO2-Bilanzierung jederzeit automatisch aktualisieren. Auf die gleiche Weise lassen sich auch die Kosten in Echtzeit berechnen oder Leistungsverzeichnisse erstellen, weshalb wir mittlerweile sogar von 5D-Planung sprechen.
SFFür die Bauherren ergeben sich hierdurch große wirtschaftliche Potenziale, gerade in einem immer schwierigeren Marktumfeld. Die Planung aller Prozesse wird transparent und kann jederzeit mit den gesetzten Zielen abgeglichen werden. Und durch die digitale Planung entsteht bis zur Übergabe des fertigen Gebäudes ein riesiger Datensatz, der die Basis für einen effizienten, digitalen Gebäudebetrieb und sogar einen späteren Verkauf der Immobilie darstellt (sozusagen eine technische Due Diligence in Echtzeit). Leider beobachten wir, dass die Chancen der Digitalisierung von der Wohnungswirtschaft in Deutschland bisher kaum genutzt werden – vor allem international drohen wir so ins Hintertreffen zu geraten.
Das Gespräch führte Benjamin Pfeifer.