Vortrag
Lebensraum Stadt

Wie wollen wir wohnen?

von Stefan Forster

Ganze Stadtteile werden ohne das Zutun von Architekten, völlig anspruchslos, aus dem Boden gestampft. Der Krise des Bauens müssen wir eine Rückbesinnung auf die Flexibilität und Dauerhaftigkeit der Architektur entgegensetzen.

Lebensraum Stadt

Das Büro Stefan Forster Architekten hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt dem Wohnen in der Stadt, dem Bauen im innerstädtischen Kontext zugewandt. Ein Blick auf das derzeitige Baugeschehen zeigt uns, dass es derzeit fast nie gelingt, die eigentliche Qualität, die in unseren historischen Innenstädten liegt und die das Wohnen dort so nachgefragt macht, zu reproduzieren. In unseren Städten entsteht Banalstes auf tiefstem Niveau.

Ganze Stadtteile werden ohne das Zutun von Architekten, völlig anspruchslos, aus dem Boden gestampft. Makler und Projektent­wickler bestimmen, was und wie gebaut wird. Sie reklamierten für sich, zu wissen, was sich gut vermarktet. Um den Markt anzuheizen, werden neue Nutzergruppen definiert, für welche man gezielte Angebote entwickeln müsse. Derzeit geistern die „Generation 50+“, ,,junge Alte“, ,,die lustigen Alten“ etc. durch die Gazetten. Man erklärt uns, diese „neue Generation“ habe nun ganz andere Anforderungen an ihre Wohnung.

Auf der anderen Seite steht die Architektenschaft mit ihrem nimmermüden Ruf nach „innovativem, experimentellem Bauen und neuen Wohnformen“, was auch immer das sein mag. Die großen Protagonisten des Berufsstandes gefallen sich, fernab von jeglicher Realität, in dem Ruf nach ganz neuen Stadtformen. Wohnungsbau ist kein Feld von Experimenten oder Innovationen. Im letzten Jahrzehnt ist, mit mä­ßigem Erfolg, bereits ausreichend experimentiert worden.

Der Blick auf die Geschichte des Wohnens zeigt, dass sich das Wohnen in den letzten Jahrhunderten kaum geändert hat, es geht vielmehr darum, an unsere großen Wohnungsbautraditionen anzuknüpfen, gewissermaßen den Faden wieder aufzunehmen und an bestimmten Stellschrauben zu drehen. Sich auf Traditionen zu beziehen heißt, sich bewusstwerden, dass wir in einem bewährten gut funktionierenden Organismus leben, der Europäischen Stadt.

Dieses Stadtmodell der feinen Differenzierung zwischen öffent­lichem und privatem Raum gilt es weiterzuschreiben. An diesem Kontext zu arbeiten, bedeutet, wieder zu einfachen Regeln zurückzukommen, sich mit der Typologie des städtischen Hauses zu beschäftigen und diese weiterzuentwickeln. Die Architektur von Stefan Forster Architekten versucht daher, an die große Wohnungsbautradition Deutschlands vom Anfang des 20. Jahrhunderts anzuknüpfen und hierzu wieder eine Beziehung herzustellen.

Architektur und Tradition

Die Kriegszerstörung hat unsere Kultur weggebombt. Die Menschen haben dadurch das Gefühl für Schönheit, Eleganz und Geschmack verloren, sie hatten nichts mehr, an dem sie sich hätten orientieren können. In der Wiederaufbauzeit meinte man, unsere Tradition negieren zu müssen, alles Alte war negativ besetzt. Man fing praktisch von vorne an und erfand die Städte neu.

So entstanden Städte, deren Qualitäten lediglich in ihren Funktionen gesehen wurden, möglichst viel Licht und Luft für alle, möglichst viel Platz für den Verkehr. Mit der Abwendung vom Modell der traditionellen Stadt ging der Verlust des eigentlichen Stadtraumes, als kollektiver Raum, verloren.

Als Architekten haben wir heute die Aufgabe, uns wieder auf die Qualitäten die­ser alten Städte, unsere Historie, zu beziehen, diese wiederherzustellen. Der Kern unserer traditionellen Stadt ist der städtische Block mit dem genau definierten Verhältnis von öffentlichem, halböffentlichem und privatem Raum, hieran gilt es anzuknüpfen.

Für das Gros unserer Städte bedeutet das: hin zu hoher Verdichtung, weg vom 50er-Jahre-Siedlungscharakter unserer Innenstädte. Wir wissen natürlich alle, dass dies so einfach nicht möglich ist. In der Konsequenz würde es bedeuten, dass ein Großteil der 50er-Jahre-Gebäude abgerissen werden müsste. Dies ist vor allem des­wegen nicht möglich, weil in unserem Lande Politik immer Klientelpolitik ist, gleich welcher Couleur.

Warum sitzt man lieber auf dem Markusplatz als in der Fußgängerzone in Oberhausen?

Qualität der Fassade

Kommen wir zurück zum Thema der Architektur – zur Qualität des einzelnen Gebäudes. Warum üben diese alten Gebäude eine große Faszination auf uns aus? Warum sitzt man lieber auf dem Markusplatz als in der Fußgängerzone in Oberhausen? Warum verlassen jedes Jahr Millionen Deutsche, pünktlich zum Ferienbeginn, flucht­artig das Land? Um dann durch halb verfallene, ungepflegte Städte im Süden zu schlendern und auf Plätzen sündhaft teuren Cappuccino zu trinken.

Es liegt ganz einfach an der Qualität der Gebäude, die trotz mangelnder Pflege immer noch ihren Charme bewahrt haben oder in ihrer Morbidität eine eigene Qualität entwickeln. Immer sind es Gebäude mit profilierten Fassaden. Diese Fassadenprofilierungen lassen diese Häuser, je nach Sonnenstand, immer in einem anderen Licht, also immer verschieden erscheinen.

Dieses Phänomen gilt es, bei den Neubauten aufzugreifen und zu transformieren, d.h. mit unseren heutigen technischen Mitteln und Anforde­rungen zu reproduzieren, ohne als Kopie oder Replik zu erscheinen. Den Effekt, den wir uns beim Betrachter erhoffen, ist ein gewisses „Deja-vu“-Gefühl, eine Vertrautheit. Hier liegt unsere ureigenste Aufgabe als Architekten: Wir sind mit unseren Gebäuden verantwortlich für Stimmungen und Gefühle der Menschen, die mit unseren Werken konfrontiert werden.

Wenn es uns gelingt, durch unsere Häuser positive Stimmungen bei den Betrachtern zu erzeugen, wird man schwerlich auf den Gedanken kommen, das Gebäude nach den berühmten 30 Jahren abzureißen. Ein positiv besetztes Haus wird Teil des kollektiven Gedächtnisses der Bevölkerung, bestenfalls wird es deswe­gen unter Denkmalschutz gestellt. Dies bedeutet wiederum, dass das Haus einen kulturellen Beitrag für die Gesellschaft leistet.

Wenn uns dies mit unserer Architektur gelingt, so haben wir eine wesentliche Voraussetzung für Nachhaltigkeit, im Sinne von Dauerhaftigkeit von Architektur, geschaffen.

Alterungsfähigkeit von Architektur als Qualität

Ein weiteres wesentliches Kriterium zur Beurteilung ist die Alterungsfähigkeit von Ge­bäuden. Was für den Menschen gilt, gilt auch für Häuser – manche Menschen sehen im Alter oft besser und interessanter aus als in ihrer Jugend, weil ihre Gesichter ihre Lebenserfahrungen widerspiegeln. Oft finden wir alte, unrenovierte Häuser und Städ­te reizvoller als gründlich durchrenovierte Quartiere, denen man ihr Alter nicht ansieht.

Leider hat unsere Nachkriegsarchitektur die Eigenschaft, im Alter immer schäbiger und schlechter auszusehen. Dies liegt natürlich auch an den verwendeten Materialien. Gerade WDVS hat eine sehr schlechte Alterungsfähigkeit, Gebäude mit diesem Fassa­den material sehen schon nach fünf Jahren völlig heruntergekommen aus. Als Architek­ten müssen wir diese Prozesse mitbedenken. Aus diesem Grund plädieren wir immer wieder dafür, zumindest besonders belastete Bauteile wie die Straßenfassade oder mindestens den Sockel in einem resistenteren Material wie z.B. Klinker auszuführen.

Dieses Material hat zudem die Eigenschaft, neben seiner Resistenz das Gebäude und damit auch den Straßenraum aufzuwerten. Hier liegt die soziale Verantwortung des Bauherrn, für die Qualität des Stadtraumes der Stadt etwas zurückzugeben.

Flexibilität als Voraussetzung für Dauerhaftigkeit

Wenn wir den Anspruch an Dauerhaftigkeit (heutzutage heißt das wohl „nachhaltig“) unseres Tuns ernst nehmen, müssen unsere Grundrisse nutzerneutral sein. Eine Wohnung muss für 95 Prozent der möglichen Bewohner brauchbar sein. Dem erhöh­ten Anteil an älteren Menschen werden wir am ehesten gerecht, wenn wir sämtliche Wohnungen barrierefrei ausbilden. In der Praxis bedeute dies, dass der Bewohner länger in seiner Wohnung bleiben kann und sich nicht beim ersten Gebrechen eine andere Bleibe suchen muss.

Architektur muss in der Lage sein, auf geänderte Anforderungen zu reagieren. D.h. im Wohnungsbau, wenn nach 30 Jahren der Bauherr vor der Frage steht, ein Haus umzubauen oder abzureißen, wird ein wesentliches Kriterium sein, ob er es den geänderten Lebensentwürfen anpassen können wird. Die Bauten aus den 50er­Jahren werden dieser Anforderung in der Regel fast nie gerecht. Gründerzeitgebäude erweisen sich als wesentlich flexibler. Bei diesen Gebäuden nimmt man wegen der architektonischen Qualität auch gern gewisse Nachteile in Kauf.

Aus: Dokumentation des Vortrags „Lebensraum Stadt“ von Stefan Forster beim 7. Symposium für Baukultur in Niedersachsen

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