Wohnen im Schwedler-Carré in Frankfurt
Auf einem ehemaligen, seit Jahren brachliegenden Bahngelände wurden seit 2007 im Auftrag von Max Baum Immobilien Bürogebäude, Gewerbeflächen und eine Kita gebaut. Nun realisieren drei Architekturbüros die Wohnbebauung, von der der erste Bauabschnitt schon fertiggestellt ist.
Das Frankfurter Ostend hat sich in den vergangenen Jahren rapide entwickelt. Aus dem einstigen Industrie- und Arbeiterstadtteil ist heute ein attraktives Stadtquartier mit einer diversifizierten, modernen Wirtschafts- und Gewerbestruktur geworden. Dieser Wandel, der schon seit zehn bis 20 Jahren stattfindet, wurde durch die Ansiedlung der Europäischen Zentralbank noch verstärkt.
Ihr 2014 bezogener Neubau gehört zusammen mit dem zu ihren Füßen angelegten Osthafenpark zu den sichtbarsten Symbolen für die sozialen und städtebaulichen Veränderungen des Ostends.
Hier, unweit des kristallinen Doppelturms der Zentralbank, befindet sich entlang der Ferdinand-Happ-Straße das Schwedler Carré – ein Quartier mit Kita, Supermarkt, Bürogebäuden und seit Neuestem auch dem ersten Teil der Wohnbebauung. Den Ausgangspunkt bildete die Idee, individuelle Architektur in einen gemeinsamen Städtebau zu integrieren und damit die Qualitäten der gründerzeitlichen Stadt weiterzuentwickeln und fortzuschreiben.
Die Kooperation der drei beteiligten Architekturbüros kann in dieser Form als Novum bezeichnet werden – Karl Dudler Architekten und Stefan Forster Architekten aus Frankfurt gründeten zusammen mit Ortner & Ortner Baukunst aus Berlin die Arbeitsgemeinschaft „Schwedler Carré“.
Lebenswerte Stadt
Wie lassen sich heute lebenswerte Städte mit funktionsfähigen Quartieren schaffen, in denen Menschen nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten, einkaufen, ihre Freizeit verbringen, in denen Kinder spielen und sich Nachbarschaften bilden? Diese Frage stand am Beginn der Planungen. Übertragen auf die Architektur folgte daraus ein klares Plädoyer für den Städtebau als urbane Leitdisziplin.
Der gemeinsame Entwurf eines städtebaulichen Rahmenplans bildete folglich den Dreh- und Angelpunkt bei der Entwicklung des neuen Quartiers. Um die Entscheidungen zwischen den beteiligten Architekten, Planern, dem Bauherren sowie der Stadtplanung und Bauaufsicht abzustimmen, wurde ein offenes, diskursives Workshop-Verfahren eingerichtet, das die Voraussetzung für das Gelingen des Projekts geschaffen hat.
Mit dem Schwedler Carré soll ein bewusster Kontrapunkt zur gegenwärtigen Planung und Gestaltung neuer Stadtquartiere gesetzt werden. Beim Spaziergang durch manche Neubauviertel unserer Zeit zeigen sich die Probleme eines Bauens, dem jede Idee von Stadt abhandengekommen ist: ungefasste Stadträume, monoton wirkende Rasterfassaden, fehlende Nutzungsmischung, soziale und funktionale Monokulturen. Die Arbeitsgemeinschaft der drei Büros reagiert auf diese Entwicklung mit dem – grundsätzlich naheliegenden – Rückgriff auf bewährte Methoden.
Im ersten Bauabschnitt wurde die Baumasse von knapp 400 Wohnungen und 30.000 m² Wohnfläche auf 14 Häuser zergliedert und somit ein baulicher Zusammenhang der unterschiedlichen Architekturen hergestellt. Durch die suggerierte Parzellierung des Grundstücks wird die individuelle Handschrift des jeweiligen Büros sichtbar und der Monotonie vieler Neubauvorhaben entgegengewirkt.
Standards für die Gestaltung
Das bewährte Prinzip der Blockrandbebauung ermöglicht die eindeutige Differenzierung von öffentlicher und privater bzw. gemeinschaftlicher Sphäre, die sich in der Architektur durch die repräsentative Gestaltung der Vorderseite und eine informellere Gestaltung der Hofseite ausdrückt. Schließlich wurden verbindliche Standards für die Gestaltung der einzelnen Häuser vereinbart, die prinzipiell ähnlich wie eine (informellere) Gestaltungssatzung funktionieren und gleichbleibende Qualitäten sicherstellen.
Großer Wert wurde auch auf dauerhafte, nachhaltige Materialien gelegt. Ein massiver Sockel vermittelt Wertigkeit, durchgehende Gesimse und Staffelgeschosse gliedern die Fassaden, identische Traufhöhen betonen die Kompaktheit des Areals. Bei aller visuellen und architektonischen Eigenständigkeit der Häuser zeigt sich die Qualität des Gestaltungskonzepts in immer wiederkehrenden Motiven – vom differenzierten Fassadenaufbau über die großzügigen Eingänge bis zur durchgehenden Verwendung von rötlichen und beigefarbenen Klinkern in Kombination mit grünlichem Naturstein. Abgetönte, ins pastellfarbene spielende Farben vermitteln Ruhe und Vertrautheit.
Qualitäten, die sich im Inneren fortsetzen. Die Wohnungen verfügen durchweg über großzügige Freibereiche in Form von Loggien und Balkonen bzw. von Dachterrassen; im als Hochparterre ausgebildeten Erdgeschoss haben die Bewohner direkten Zugang zu ihren Privatgärten und dem gemeinschaftlich genutzten Hinterhof.
Integriertes Verkehrskonzept
Bei der städtebaulichen Ausgestaltung des Programms wurde besonders auf ein integriertes Verkehrskonzept geachtet. So fungiert der von Ortner & Ortner Baukunst entworfene Riegelbau, der das Quartier nach Norden abschließt, auch als eine Quartiersgarage, die in den oberen Stockwerken Wohnungen enthält. Ziel war die Schaffung eines verkehrsberuhigten Bereichs, in dem sowohl der fließende als auch der ruhende Verkehr weitgehend ausgeschlossen ist.
Nutzungsmischung
Jenseits der städtebaulich-ästhetischen Dimension gehört zur Stadt auch ganz wesentlich das Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungen und Bewohner. Das hier vorgestellte Wohnprojekt ist insofern wichtiger Bestandteil der umfangreichen Quartiersentwicklung, die seit 2007 durch Max Baum Immobilien betrieben wird. Sie umfasst insgesamt eine Fläche von knapp 40.000 m² auf einem länglichen Grundstück zwischen der Ferdinand-Happ-Straße im Süden und den Bahngleisen im Norden.
Durch die schrittweise Konversion dieser ehemaligen Brachfläche über einen Zeitraum von über zehn Jahren entstanden schließlich neue Flächen für Wohnungen und Büros, für Einzelhandel und Kinderbetreuung. Beginnend mit dem östlichen Teil wurden 2007 zunächst eine Quartiersgarage und ein Supermarkt realisiert, 2009 und 2010 folgten drei solitäre Bürogebäude und eine separate Kindertagesstätte sowie – westlich daran anschließend – das Wohnquartier.
Abgetönte, ins pastellfarbene spielende Farben vermitteln Ruhe und Vertrautheit.
Weitere Entwicklung des Quartiers
Das Quartier wird im Westen im kommenden Jahr – ebenfalls von den drei Architekturbüros Karl Dudler Architekten, Stefan Forster Architekten und Ortner & Ortner Baukunst – um eine Fläche von etwa 27.000 m² (BGF) erweitert und abgeschlossen. In diesem zweiten und dritten Bauabschnitt entstehen insgesamt 270 neue Wohnungen, verteilt auf sechs Häuser (je drei Häuser für einen weiteren Bauabschnitt).
Die soziale Staffelung der angebotenen Wohnungen, die sowohl geförderte und frei finanzierte als auch Eigentumswohnungen umfassen, und die unterschiedliche Dimensionierung für Singles, Paare und Familien ermöglichen eine heterogene Sozialstruktur. Die Planung reagiert damit auf die spezifischen Probleme der Stadt Frankfurt am Main und leistet einen entscheidenden Beitrag zur urbanen Stadtentwicklung.
Der Anteil der geförderten Wohnungen beträgt dabei 30 %. Nach Süden hin werden die beiden letzten Bauabschnitte mit einem Wohnhochhaus mit bis zu 13 Geschossen als markantem städtebaulichen Zeichen abgeschlossen. Mit seiner erlebbaren städtebaulichen Dichte, den unterschiedlichen Nutzungen und der architektonischen Vielfalt auf einer begrenzten Fläche stellt das Schwedler Carré vom ersten Tag an ein funktionsfähiges Stück „Stadt“ dar.
Durch die Flächenkonversion gelingt zudem die Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum für unterschiedliche soziale Schichten und Bedürfnisse. Mit dem gemeinsam entwickelten Städtebau und einem integrierten Gestaltungskonzept zeigt die Arbeitsgemeinschaft „Schwedler Carré“, dass Architekten keine Einzelkämpfer sind, sondern ein Mehrwert gerade in der Kooperation besteht. Nicht die einzelne Architektur steht im Vordergrund, sondern die Arbeit am städtebaulichen Ganzen.
Erschienen in Quartier – Fachmagazin für urbanen Wohnungsbau, 1/2018