Keine Lösung – Warum Wohnhochhäuser überschätzt sind
Lange war es verschrien, nun gilt es vielen wieder als Hoffnungsträger. In einem Kommentar anlässlich der Expo Real in München setzt sich Stefan Forster mit dem aktuellen Hype um das Wohnhochhaus auseinander.
Das Wohnen im Hochhaus erfährt gegenwärtig eine Renaissance. Im Unterschied zur Nachkriegszeit, in der Wohntürme vor allem in Satellitenstädten und Großsiedlungen an der Peripherie errichtet wurden, steht der gegenwärtige Trend unter völlig anderen Vorzeichen. Wurden die ersten Wohnhochhäuser noch im sozialen Wohnungsbau realisiert, bedienen sie heute fast ausschließlich das oberste Segment des Immobilienmarktes, mit dem sie gleichsam ins Zentrum der Großstädte gerückt sind. Angesichts des aktuellen Mangels an bezahlbarem Wohnraum erscheint das Bauen in die Höhe vielen Beobachtern und Marktteilnehmern als möglicher Ausweg, könnte sich jedoch auch als verhängnisvoller Fehler entpuppen.
Zunächst stehen den wohnungspolitischen Hoffnungen ernüchternde Zahlen gegenüber: Zwischen 2010 und 2018 wurden im gesamten Bundesgebiet lediglich 9.766 Wohnungen in 79 Hochhäusern realisiert. Der überwiegende Teil (93 Prozent) dieser Wohnungen entfällt jedoch auf die sieben größten deutschen Städte, die sogenannten A-Städte, von dem sich wiederum 50 Prozent auf nur zwei Städte konzentrieren – Frankfurt und Berlin. Angesichts eines jährlichen Bedarfs von über 300.000 neuen Wohnungen bewegt sich der Beitrag von Wohntürmen also im Promillebereich.
Das geringe Volumen ist angesichts der hohen Bau- und Investitionskosten nicht weiter verwunderlich. Mit zunehmender Höhe des Gebäudes wachsen auch die bautechnischen Anforderungen. Ab einer Höhe von 22 m gilt die Hochhausrichtlinie, die unter anderem die Konstruktion des Treppenhauses als Sicherheitstreppenhaus (mit Rauchschutzdruckanlage und Schleuse) sowie einen zusätzlichen Feuerwehraufzug verlangt. Ab 60 m wird sogar noch ein zweites Sicherheitstreppenhaus benötigt. Der Bautyp Wohnhochhaus erweist sich somit unweigerlich als Kostentreiber – ganz zu schweigen von der Einrichtung einer Großbaustelle mit entsprechend tiefer Gründung, der aufwändigen Statik oder der umfangreichen technischen Infrastruktur.
Nach Zahlen des Immobilienberaters Bulwiengesa liegt der Mehraufwand für Investitionen in Wohnhochhäuser bei ca. 1.000 Euro je Quadratmeter. Im Mittel liegt eine Eigentumswohnung somit bei 7.000 Euro, was einem Aufschlag von knapp 2.000 Euro gegenüber einer konventionellen Wohnung entspricht. Spitzenwerte können in den oberen Geschossen sogar die Marke von 20.000 Euro erreichen. Zur Miete kostet der Quadratmeter nicht selten 30 Euro. Dennoch sind prominente Projekte wie der Frankfurter „Grand Tower“ bereits vor der Fertigstellung voll verkauft.
Wohnhochhäuser können prinzipiell nur das obere Segment bedienen. Einen Beitrag zur Lösung der Wohnungsmisere kann das Hochhaus nicht leisten.
Getrieben wird die Nachfrage auch durch das wachsende Interesse aus dem Ausland. Solvente chinesische, arabische und russische Privatpersonen und Investoren legen ihr Geld vermehrt in deutschen und europäischen Großstädten an, ohne tatsächlich dort zu wohnen. Das mag legitim sein, vertieft jedoch zunehmend die soziale Spaltung deutscher Städte. Für Käufer außerhalb der EU sollte die Grunderwerbssteuer daher auf hundert Prozent erhöht werden.
Angesichts der grassierenden Gentrifizierung – alleine in Frankfurt sind die Mieten seit 2008 um knapp 42 Prozent gestiegen, in Berlin haben sie sich sogar verdoppelt – fällt das Fazit ernüchternd aus. Wohnhochhäuser können prinzipiell nur das obere Segment bedienen. Einen Beitrag zur Lösung (oder zumindest Linderung) der Wohnungsmisere kann das Hochhaus nicht leisten. Im Gegenteil: Die einmal bebaute Grundfläche kann nicht mehr für soziale Wohnprojekte genutzt werden und durch Aufwertungseffekte – etwa über den Mietspiegel – fällt die Wirkung auf die soziale Mischung des unmittelbaren Wohnumfelds sogar eindeutig negativ aus.
Dem treten in jüngerer Zeit Bemühungen gegenüber, das Wohnhochhaus als Bautyp für den sozialen Wohnungsbau zurückzugewinnen. Doch sind auch diese Bestrebungen kritisch zu sehen: Zum einen wird versucht, die hohen Baukosten durch serielles Bauen in den Griff zu bekommen, wodurch die Fehler der Sechziger- und Siebzigerjahre wiederholt werden und standardisierte, uniformierte Typenhäuser entstehen. Diese sind architektonisch und städtebaulich nicht in der Lage, auf ihr Umfeld zu reagieren, und schaffen somit (erneut) anonyme Wohnquartiere, mit denen sich die Bewohner nicht identifizieren können. Zum anderen wird übersehen, dass sozial schwächere Gruppen andere Bedürfnisse haben.
Das Wohnhochhaus mag für eine globale Elite funktionieren, die für ihre sozialen Kontakte nicht unbedingt auf ihr unmittelbares Wohnumfeld und eine intakte Nachbarschaft angewiesen ist – im sozialen Wohnungsbau verstärken sich jedoch die negativen Effekte eines anonymen Städtebaus und einer Konzentration der sozial Schwachen gegenseitig. Die Lösung für das Zivilisationsmodell Stadt liegt indes nicht in der sozialen Segregation unterschiedlicher Bevölkerungsteile ebenso wenig wie in einer noch größeren Dichte, sondern in der Verbindung von sozialer Mischung mit qualitätsvollem Städtebau in der Tradition der europäischen Stadt.
Erschienen in CUBE, 9/2018