Gastbeitrag
Stadtentwicklung

Neue Qualitäten des Stadtwohnens durch Transformation

von Stefan Forster

In der Kleinstadt Leinefelde, Thüringen, hat Stefan Forster seine wichtigsten Plattenbauumbauten ausgeführt. In seinem Text schildert er die sechs bestimmenden Elemente der Transformation.

Vorbemerkungen

In der Stadt Leinefelde, Thüringen, die im Zuge des so genannten „Eichsfeldplanes“ ab den 1960er Jahren zum Zentrum der Textilindustrie der DDR ausgebaut wurde, hat das Büro Stefan Forster Architekten seine wichtigsten Plattenbauumbauten ausgeführt. Leinefeldes Bevölkerungszahl von ehemals 3.500 wuchs aus diesem Grunde bis zur Wende auf 16.500 an. Zu DDR-Zeiten galt Leinefelde als Modellstadt mit dem jüngsten Altersdurchschnitt landesweit. Nach der Wende wurde das Textilwerk, sozusagen die einzige Daseinsberechtigung der Stadt, geschlossen.

Bereits Anfang der 1990er-Jahre gingen deshalb Prognosen von einem Rückgang der Bevölkerung von 50 % aus. Während man in anderen Städten mit vergleichbaren Problemen sich diesen Schrumpfungsvoraussagen verschloss und deshalb den gesamten Plattenbaubestand sanierte, ging man in Leinefelde einen anderen Weg: Leinefelde ist wohl der einzige Ort in der ehemaligen DDR, wo man den unaufhaltsamen Schrumpfungsprozess plante.

Durch diese Planungen wurden keine Gelder in überflüssige Sanierungen fehlinvestiert wie in vielen anderen Orten. Der aufgelegte Rahmenplan sah vor, in die Gebäude in den Randlagen der Stadt nicht weiter zu investieren und den dann verbleibenden Bestand im Zentrum zukunftsfähig aufzuwerten. Im Kernbereich der Stadt kamen die Konzepte von zwei verschiedenen Architekten, welche durch einen Wettbewerb bestimmt worden waren, zur Ausführung.

Das Frankfurter Büro Stefan Forster Architekten transformiert die unförmigen Plattenbaublöcke in kleine überschaubare Einheiten, die sich um Höfe gruppieren. Hier wird bewusst der historische Bezug zur Gartenstadt aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts gesucht. Insgesamt neun Gebäude wurden im Zeitraum von 1998 bis 2004 umgebaut. Die definierten Themen wurden jeweils variiert, sodass keine neue Monotonie entstanden ist. Im Folgenden werden die einzelnen Elemente der Transformation und die Arbeits- und Denkweise dieses Ansatzes geschildert.

Abb. 1 a, b: Leinefelde, Umbau des Plattenbaus Goethestraße.

1. Der private Sockel

Wegen ihrer seriellen Typologie sind die Plattenbauten nicht in der Lage, auf den jeweiligen Kontext zu reagieren. Dies führt dazu, dass das Erdgeschoss an einigen Stellen 1,40 m über dem Außenniveau liegt, während es an anderen Stellen teilweise bodengleich, jedoch noch mit Balkon ausgeführt ist. Die Möglichkeit, der Erdgeschosswohnung einen Freibereich zu geben, wurde nie wahrgenommen – auch aus ideologischen Gründen.

Im Außenbereich führte diese Denkweise dazu, dass dieser ohne jegliche Differenzierung bis an die Gebäudeaußenkante geführt wurde, d.h. es gab keine Zonierung vom öffentlichen Raum zum privaten Raum. Diese Raumtypologie wird nun konfrontiert mit der klassischen Zonierung unserer Innenstädte. Hier gibt es eine klare Abgrenzung von Straße, Bürgersteig und Vorgarten bis hin zum Haus. Diese, im kollektiven Gedächtnis der Menschen positiv verankerte Raumtypologie wird nun auf den Plattenbau übertragen: Öffentlicher Raum, Bürgersteig und Straße werden mittels einer Vorgartenwand aus Klinkern eindeutig vom privaten Raum getrennt.

Die Fläche hinter dieser Vorgartenwand wird bis auf das Erdgeschossniveau aufgefüllt und der Wohnung als Privatgarten zugeschlagen. In diesem Zusammenhang sprechen die Architekten auch gerne von der „Privatisierung des Außenraumes“. Dieser private Sockel zoniert und differenziert zum einen den Außenraum und proportioniert zum anderen auch das Gebäudevolumen. Er ist zudem in der Lage, auf die unterschiedlichen Situationen des Außenraumes zu reagieren; so ist er z.B. höher und bietet Lärmschutz, wenn sich davor eine laute Straße, oder tiefer, wenn sich davor ein Grünzug befindet.

Die unterschiedliche Ausformulierung des Sockels hilft zudem bei der Individualisierung der Baukörper. Das natürliche Material des Klinkers wertet das Gebäude auf und schützt es gleichzeitig.

2. Der Grundriss

Der gesamte Plattenbaubestand in Leinefelde basiert auf dem WBS 70 Typ und dessen wenigen, überschaubaren Varianten. Das hat für den Planer den Vorteil, dass er sich nur an einem Thema abarbeiten muss. Der Bestandsgrundriss spiegelt nicht mehr die Wohnanforderungen unserer heutigen Zeit wider. Er hat unbelichtete Küchen, zu kleine Bäder, einen zu schmalen Balkon und ist auch insgesamt zu klein.

Historisch ist dieser Grundriss verständlicherweise in der Mangelsituation sowie durch die Tatsache begründet, dass die Menschen relativ wenig Zeit darin verbrachten. In der heutigen Freizeitgesellschaft sind die Anforderungen an eine Wohnung jedoch viel höher, so dass der Bestandsgrundriss mit diesen heutigen Anforderungen konfrontiert wurde.

Bei der Umwandlung wurde versucht, möglichst dicht an die Neubauqualitäten von Grundrissen heranzukommen. In der weiteren Phase wurde dann das Spektrum der Wohnungstypen und Wohnungsgrößen erweitert. Für die insgesamt neun Projekte des Büros wurden ca. 50 verschiedene Wohnungstypen aus dem WBS 70 Typ entwickelt.

Abb. 2 a, b: Leinefelde, Umbau eines Plattenbaus zu Stadtvillen.

3. Die neue Gebäudehöhe

Das Vorbild der Gartenstadt als Idealstadt für die Transformation der Plattenbaustadt lässt sich nur durch eine Reduktion der Gebäudehöhe auf maximal vier Geschosse erreichen. Dies hat zudem ganz praktische Gründe. Ein Aufzugseinbau wäre kompliziert und unrentabel. Er würde zudem eine Erhöhung der Nebenkosten mit sich ziehen. Ohne Aufzug lassen sich jedoch darüberliegende Geschosse nur sehr schwer vermieten. Höhenreduktion ist daher die logische Konsequenz. Die Fotos zeigen, dass sich dadurch die Gebäudetypologie völlig verändert hat.

4. Differenzierung des Wohnungsangebotes

Die Reduktion des Gebäudes führt fast automatisch dazu, dass man im System der Platte das Volumen reduzieren kann und die Subtraktion qualitätsvolle Außenräume für die Wohnungen entstehen lässt. Nachdem bereits die Erdgeschosswohnungen ihre Eigenheit durch den Garten erhalten haben, erhielten nun auch die Dachgeschosswohnungen durch ihre großen Dachterrassen als „Penthaus“ ihren eigenen Reiz.

Abb. 3: Frankfurt a.M.: Projekt Voltastraße.

5. Der neue Typus „Stadtvilla“

Der Endpunkt in dieser Entwicklung stellt sicher die Schaffung der so genannten Stadtvillen dar, die Transformation einer Plattenbauzeile in acht Stadtvillen. Hintergrund dieses Projektes war zunächst die Lage am Stadteingang. Hier ging es darum, am Eingang zur Stadt, ein Zeichen für den Neuanfang und die neue Dynamik der Stadt zu setzen.

In unserer Mediengesellschaft benötigt man zudem einprägsame, bisweilen auch spektakuläre Bilder. Das Beispiel zeigt, dass man diese durchaus auch mit dem Thema Wohnungsbau schaffen kann und man dazu nicht unbedingt einen Museumbau benötigt.

Bei diesem Projekt wurden von der ca. 180 m langen Zeile jedes zweite Treppenhaussegment entfernt sowie die Eingänge auf der Ostseite geschlossen und auf die Westseite verlagert. Hier wurden ebenfalls durch Geländeaufschüttung Privatgärten geschaffen und die Gebäudehöhe wurde auf vier Geschosse reduziert.

Großzügige vollmetrische Balkone auf der Westseite lassen den Plattenbau gänzlich vergessen und schaffen das gewünschte neue Bild. Alle acht Häuser sind leicht unterschiedlich in ihrer Gestaltung, bilden jedoch insgesamt eine Einheit.

Abb. 4,5: Frankfurt a.M.: innerstädtisches Passivhausprojekt „Campo“.

6. Ökonomische Erschließungstypologie

Bei einem weiteren Plattenbauprojekt in Halle-Neustadt geht es nun weniger um die Volumenreduktion als um die Schaffung eines differenzierten Wohnungsangebotes. Insgesamt entstehen 80 Wohnungen mit 18 verschiedenen Wohnungstypen. Jedes zweite Treppenhaus wird „überbaut“, der bestehende 2-Spänner in einen 3-Spänner transformiert. Ansonsten kommen auch hier die Prinzipien, welche in Leinefelde entwickelt wurden, zum Einsatz.

Das Büro Stefan Forster Architekten hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt dem Wohnen in der Stadt, dem Bauen im innerstädtischen Kontext, zugewandt. Ein Blick auf das derzeitige Baugeschehen zeigt uns, dass es derzeit fast nie gelingt, die eigentliche Qualität die in unseren historischen Innenstädten liegt und die das Wohnen dort so begehrenswert macht, zu reproduzieren.

Die Stadterweiterungen generieren sich, landauf landab, als öde Vorstadtquartiere, welche die typologisch indifferenten spätmodernen Siedlungstypologien reproduzieren. So entsteht ein gesichtsloser Siedlungsbrei um unsere Städte herum, keine klassischen Stadterweiterungen. Daher versucht die Architektur des Büros Stefan Forster an die große Wohnungsbautradition Deutschlands zu Beginn des 20. Jahrhundert anzuknüpfen und hierzu wieder eine Beziehung herzustellen.

Wie beim Thema der Plattenbautransformation, so hat das Büro auch für das städtische Wohnen bestimmte Themen und Herangehensweisen entwickelt. Im Folgenden werden einige beispielhafte Projekte wie die Baulückenbebauung in der Ostendstraße, welche das Thema des Erkers und des Seitenflügels variiert, oder das Projekt Westgarten, welches einen städtischen Sockel ausbildet, gezeigt und erläutert. Bei den Projekten Voltastrasse (Frankfurt) und Schwarzwaldblock (Mannheim) konnte das Büro seine Vorstellungen vom städtischen Wohnen jeweils in einem Gesamtblock umsetzen.

Ein weiteres Arbeitsfeld des Büros ist das Thema Passivhaus im Geschosswohnungsbau. Will man auch in Zukunft ein ausgewogenes Verhältnis der Bewohnerschaft in unseren Innenstädten sicherstellen, so muss man sich der steigenden Energiekosten wegen auch dem Thema der Nebenkosten annehmen. Aus diesem Grunde führt kein Weg an der Beschäftigung mit dem Thema Passivhaus vorbei.

Das Architekturbüro hat zusammen mit den Büros Scheffler und Speer in Frankfurt das erste innerstädtische Passivhausprojekt mit dem Namen „Campo“ in hochverdichteter Bauweise realisiert. Das Projekt ist in seiner Durchführung sicher beispielgebend. Die städtebauliche Lösung wurde in einem kooperativen Verfahren zusammen mit den Vertretern des Ortsbeirates entwickelt. Hierdurch wurde sichergestellt, dass das Projekt im Quartier verankert war. In dem Quartier des ehemaligen Straßenbahndepots Bornheim wurde durch die baulichen Maßnahmen ein kleiner Quartiersplatz mit einer verbindenden Gasse geschaffen.

Die Neubebauung reagiert in ihrer Körnigkeit auf die Parzellenstruktur des Kontextes und versteht sich als zurückhaltende Ergänzung. Die Umnutzung der Straßenbahndepots in einen Supermarkt trägt wesentlich zur Lebendigkeit dieses neuen Stadtraumes bei. Mieter und Neueigentümer leben in bester Nachbarschaft, und die hohe Nachfrage nach Wohnraum in diesem Quartier steht für dessen hohe Akzeptanz.

 

Schriftliche Fassung des Vortrags auf der Internationalen Städtetagung der „Arbeitsgemeinschaft Die alte Stadt“ vom 7.–10. Mai 2009 in St. Pölten/Österreich zum Thema „Neues Altstadtwohnen“.

Erschienen in: Die Alte Stadt, Vierteljahreszeitschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie, Denkmalpflege und Stadtentwicklung (Hrsg. Harald Bodenschatz, Tilman Harlander), 1/2010