Gastbeitrag
100 Jahre Bauhaus

Was heißt für Sie heute Bauhaus?

von Stefan Forster

Aus Anlass des 100-jährigen Gründungsjubiläums des Bauhaus bat die Fachzeitschrift betonprisma Architektinnen und Architekten um ein Statement: Was ist ihr erster Gedanke beim Stichwort Bauhaus? Was heißt Bauhaus heute? Stefan Forster nutzt die Gelegenheit zur kritischen Auseinandersetzung.

Mein erster Gedanke beim Stichwort Bauhaus ist: Das Bauhaus ist längst nicht mehr die Avantgarde, die es in den 1920er Jahren einmal war. Als Teil unserer Architekturhistorie ist es selbst schon knapp 100 Jahre alt. Im Laufe der Geschichte haben sich viele Ideen überholt, die ursprünglich am Bauhaus gelehrt und vertreten wurden.

Die doktrinäre Trennung von modern und nicht-modern, die formalistische Auffassung von Modernität, der Absolutheitsanspruch in sämtlichen ästhetischen und sozialen Fragen – diese Haltungen stehen uns heute im Weg, wenn wir der aktuellen Wohnungskrise in den Städten begegnen und wieder an die Qualitäten der gründerzeitlichen Stadt anknüpfen wollen. Das Bauhaus bietet leider keine Anhaltspunkte für die Planung und Gestaltung von gelingenden urbanen Stadtvierteln oder den Entwurf lebenswerter öffentlicher Räume.

Das mir wichtigste Bauhaus-Gebäude, -Objekt ist: In meiner Architektur spielt das Bauhaus als Referenz keine Rolle, da seine Haltung zur Stadt heute überholt ist und sich für das Weiterbauen der Stadt nicht eignet. In den heutigen Städtebau-Wettbewerben dominieren nach wie vor die beiden Typen Punkthaus und Zeile, als wäre die Zeit stehen geblieben.

Architektur und Städtebau müssen mehr sein als eine Ansammlung uniformer gestapelter Kisten. Der Stadtraum verlangt eine Gliederung und Differenzierung der einzelnen Baukörper und eine Plastizität der Fassaden. Häuser, die sich zu allen Seiten gleich verhalten, die keine Vorder- und Rückseite haben, keinen Sockel und keinen oberen Abschluss, sind für die Schaffung eines lebenswerten Stadtraums, der von den Menschen angenommen wird, schlichtweg unbrauchbar.

Bauhaus heißt für mich heute: Das Bauhaus leidet bis heute an der eigenen Überhöhung. Angesichts des städtebaulichen Versagens ist eine kritische Auseinandersetzung mit ihm dringend geboten. Die Bauhauslehre des radikalen Bruchs mit der Baugeschichte und der daraus folgende „internationale Stil“ haben zu einer ortlosen Architektur und dem immer gleichen Städtebau der Großkisten geführt.

Die seinerzeit sicherlich guten Absichten zur Bekämpfung der Wohnungsnot mittels serieller Fertigung und industrieller Bauteilproduktion hat sich im weiteren Verlauf zu einer Persiflage entwickelt: Zahlreiche Satellitenstädte und Plattenbausiedlungen verdanken sich letztlich einem unreflektierten Funktionalismus, der seine Wurzeln auch im Bauhaus hat. Zum anstehenden 100-jährigen Jubiläum wünsche ich mir deshalb vor allem ein Ende der Glorifizierung des Bauhauses.

Erschienen in betonprisma, 10/2018

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