Gastbeitrag
Architektur

Weg von Einweg- und Jahrmarktarchitektur

von Stefan Forster

In einem Statement für das Magazin „Stadt und Ziegel“ schreibt Stefan Forster über Fehlentwicklungen in Architektur und Stadtplanung und fordert engagierte Architekten, die sich in die öffentlichen Angelegenheiten einmischen.

Für eine l(i)ebenswerte Stadt

Ein Blick auf das hiesige Baugeschehen zeigt eindrücklich, dass wir offenbar keine lebenswerten Städte mehr bauen können. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet das »Leitbild der Europäischen Stadt« von Politikern und Planern für die Vermarktung der neuen Stadterweiterungen benutzt wird.

Im Unterschied zur traditionellen europäischen Stadt, deren wesentliches Merkmal ein feinkörniger Städtebau mit parzellierten Blöcken ist, werden heute ganze Baublocks von einem einzelnen Investor und seinem Architekten realisiert – und dabei auch noch möglichst auffällig gestaltet.

Am Potsdamer Platz in Berlin oder in Teilen der Hafencity in Hamburg lassen sich die Folgen beobachten: Das Ergebnis ist eine Aneinanderreihung von Gag-Architekturen und Egotrips, die nichts mit Stadt zu tun haben.

Nutzungsmischung

Ein weiteres Merkmal der europäischen Stadt ist die Nutzungsmischung. Hier ist ein Blick ins Stuttgarter Europaviertel aufschlussreich: Wie soll bei einem Wohnanteil von nur zehn Prozent, der zudem sektoral vom Rest des Viertels getrennt ist, jemals städtisches Leben entstehen?

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Stadterweiterungen, die sich offensiv modern geben. So arbeitete man in München-Riem im Geist der klassischen Moderne scheinbar dezidiert gegen die Stadt. Entstanden ist ein reiner Siedlungsraum ohne jede stadträumliche Qualität.

Der Architekturkritiker Till Briegleb betitelte etwa ein Foto des dortigen Willy-Brandt-Platzes »Mehr Menschenleere wagen«. Der Untertitel zur Heinrich-Böll-Straße lautete passend »Ansichten eines Grauens«. Diese modernen Stadterweiterungen werden von Stadtplanungsbüros geschaffen, die sich zwar stets innovativ geben, aber vor allem investorenfreundlich sind.

Schatten und Licht im Städtebau: Fluchtperspektive als Versprechen in München-Riem (oben). Das Leuchtturmprojekt Seestadt Aspern in Wien hingegen zeigt, wie die Stadt schon heute zukunftsfähig aussehen kann, Foto: Till Briegleb

Fehlentwicklungen

Für mich liegt der wichtigste Grund im Verschwinden des Regulativs der öffentlichen Hand. Sie könnte zum Beispiel eine bestimmte Anzahl Grundstücke für geförderten Wohnungsbau reservieren und damit eine soziale Mischung innerhalb der Quartiere gewährleisten.

Das bedeutet natürlich vom Prinzip des maximalen Verkaufspreises bewusst abzurücken. Ebenso kann letztlich nur die Politik mit der ihr angegliederten Verwaltung den Parzellenzuschnitt festlegen. Sie könnte die ›Eventisierung‹ des öffentlichen Raums eindämmen und sinnvolle Gestaltungsvorgaben machen.

Forderungen

Weg von Einweg- und Jahrmarktarchitektur – hin zu einer zusammenhängenden Ästhetik des Ganzen. Sie könnte den Architekten die nötigen Freiräume geben, statt jede Flexibilität durch Bebauungspläne von vornherein zu ersticken. Es ist absolut widersinnig, dass wir mit billigen WDVS-Fassaden künftige Berge von Sondermüll produzieren.

Mit einfachen und sinnvollen Gestaltungsvorgaben, wie etwa die Ausbildung des Sockels in Massivbauweise, könnten dauerhafte Qualitäten geschaffen werden. Solange dies jedoch nicht der Fall ist, brauchen wir vor allem engagierte Architekten, die sich öffentlich einmischen in die Auseinandersetzung um qualitätsvolle Architektur – mit der Politik und nicht zuletzt auch mit den eigenen Bauherren.

Erschienen in Stadt und Ziegel, 4/2019

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