„Wohnen für alle: Neues Frankfurt 2018“, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Im vergangenen Jahr hat die Stadt Frankfurt mit dem Deutschen Architekturmuseum und der ABG Frankfurt Holding den Wettbewerb „Wohnen für alle: Neues Frankfurt 2018“ ausgelobt. Bereits nach der ersten Phase, in der aus 131 eingereichten Referenzprojekten zehn Finalisten gekürt wurden, habe ich mich in einem Leserbrief (F.A.Z. vom 1. Juni 2018) kritisch zum Preis und seiner Zielsetzung geäußert.
Nachdem nun die Ergebnisse der zweiten Phase vorliegen – vier Entwürfe, die so oder ähnlich im Frankfurter Hilgenfeld gebaut werden sollen –, ist tatsächlich eingetreten, was ich ursprünglich befürchtet hatte: Aus dem „Architekturpreis für bezahlbaren Wohnraum“ ist ein Wettbewerb um den niedrigsten Standard ohne verwertbares Ergebnis geworden.
Zunächst einmal zeichnet der Preis ein fragwürdiges Bild von der Rolle des Architekten. Es wird so getan, als könne bezahlbarer Wohnraum alleine durch die kreative Eingebung und den Geistesblitz eines Architekten geschaffen werden. Dies ist nicht nur naiv, sondern blendet ökonomische und politische Fragen systematisch aus. Weder werden die hohen Grundstückspreise als Ergebnis von Bodenspekulation (und einer verfehlten kommunalen Bodenpolitik) thematisiert, noch die Überregulierung des Bauens durch immer höhere technische Standards hinterfragt.
Es sind auch nicht die Architektinnen und Architekten, die den Preis zum Beispiel für Beton, Sand oder Fliesen bestimmen, sondern die Industrie. Entsprechend gering ist letztlich der Einfluss der Architekten auf die effektiven Baukosten. Angesichts der derzeitigen Unwägbarkeiten des Marktes erscheint die Festlegung der Baukostenobergrenze auf 1.700 Euro schon fast unseriös.
Mit welchen vermeintlich innovativen Mitteln wollen die vier Preisträger nun die Baukosten senken?
Der Beitrag von Architekten zur Senkung der Baukosten lässt sich auf ein paar einfache Regeln zurückführen, die jeder Wohnungsbau-Architekt beherrscht, wie etwa möglichst geringe Deckenspannweiten, der Verzicht auf auskragende Bauteile, vertikal durchgehende Wände und Leitungen. Diese Regeln beziehen sich überwiegend auf den Rohbau, wo das größte Einsparpotential liegt.
Mit welchen vermeintlich innovativen Mitteln wollen die vier Preisträger nun die Baukosten senken? Zunächst fällt der Verzicht auf einen klassischen Eingang mit Treppenhaus auf. Drei von vier Entwürfen ersetzen diesen durch eine außenliegende Laubengangerschließung. Ein Prinzip, das ursprünglich aus dem „Bauen für das Existenzminimum“ stammt und als Notunterkünfte möglichst viele Wohneinheiten seriell erschließen sollte.
Weil die Bewohner keinen Puffer mehr zwischen Wohnungstür und Straße haben – im Winter also direkt in der Kälte stehen – ist der Laubengang heute bei allen Wohnungsbaugesellschaften de facto verboten. Das Gebäude verliert so nicht nur eine vernünftige Straßenfassade, sondern ist auch für jedermann von außen zugänglich – die entsprechenden Gebäudetypen sind so in der Bevölkerung zum Inbegriff von sozialer Verwahrlosung geworden, was erst kürzlich im Freiburger Tatort wieder sehr drastisch zu sehen war.
Im Beitrag des Büros Lacaton & Vasalle (die Lieblinge der intellektuellen Architekturszene) wird das Gebäude zudem ohne Not mit Polycarbonat umhüllt. Abgesehen von der etwas speziellen Ästhetik einer Kunststoff-Fassade, fragt es sich, wie man hier die Hitze etwa des letzten Sommers übersteht. Aber auch der Flächenverlust dieses Entwurfs hielt die Jury nicht davon ab, explizit „die Armut der verwendeten Materialien und Standards“ zu loben. Ein Verlust sozialer und ästhetischer Standards als positives Kriterium in einem Architekturpreis!
Ein Verlust sozialer und ästhetischer Standards als positives Kriterium in einem Architekturpreis!
Der Sparzwang hört jedoch längst nicht bei der Fassade auf, sondern setzt sich im Inneren der Wohnungen fort: vergeblich sucht man einen Flur (öffnet man die Wohnungstür steht man sogleich im Wohnzimmer), Küchen und Bäder befinden sich ohne Tageslicht im Inneren, Decken und Wände bleiben unverputzt und dergleichen mehr. Die damit verbundene Rohbauästhetik dürfte für die meisten Bewohner eine Zumutung sein und orientiert sich eher an den Architekturvorlieben einer hippen Klientel, die allerdings kaum die Hauptzielgruppe der ABG darstellt.
Auch städtebaulich ist der Wettbewerb ein Rückschritt: Obwohl die Häuser auf benachbarten Baufeldern entstehen sollen, weisen sie keinerlei Bezug zueinander auf. Es handelt sich letztlich um Zeilenbauten ohne jede stadträumliche Verbindung. Ein Wohnungsbau im Substandard, der als „innovativ“ verkauft werden soll.
Bezahlbarer Wohnraum ist jedoch nur in urbanen, verdichteten Räumen bei einer hohen seriellen Fertigung möglich. Hierbei darf der soziale Status der Bewohner nicht auf den ersten Blick am Wohnhaus ablesbar sein. Die aktuelle Planung für das Stadtquartier „Am Römerhof“, bei der das Stadtplanungsamt vom Deutschen Institut für Stadtbaukunst beraten wird, ist hier als positives Signal für das Weiterbauen einer funktionierenden Stadt zu verstehen.
Es ist Stadtrat Mike Josef und ABG-Geschäftsführer Frank Junker zu wünschen, an solche Initiativen, die an der dichten und kompakten Stadt mit öffentlichen Räumen weiterbauen möchten, anzuknüpfen und sich für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum bessere Berater zu suchen. Es liegt im Wesen des Experiments, dass es auch scheitern kann und dann abgebrochen wird.
Leserbrief zum Preis „Wohnen für alle: Neues Frankfurt 2018“, abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 6. April 2019